- Das menschliche Gleichgewicht war schon oft Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Dabei handelte es sich nicht wie von einigen Autoren angegeben nur um das Gleichgewicht, sondern um das menschliche Verhalten in einem Gleichgewichtszustand. Das Gleichgewichtsverhalten liefert die möglichen Parameter, die gemessen, analysiert und inter- pretiert werden können.
Zur Erfassung des menschlichen Gleichgewichtsverhaltens wurde eine neue Methode entwickelt. Die Kraft-Zeit-Funktion der Reaktionskraft einer auf einer Kraftmessplatte stehenden Versuchsperson wurde betragsmässig integriert und der erhaltene betragsmässige Impuls als Mass für das Gleichgewichtsverhalten gewählt. Mit dieser Methode wurden Messungen im bipedalen Stehen mit offenen und mit geschlossenen Augen und im monopedalen Stehen mit offenen Augen durchgeführt.
Das Ziel der Untersuchung bestand darin, die Messmethode zu standardisieren und die Aussagefähigkeit des Systems zu erforschen, um damit nähere Angaben über das menschliche Gleichgewichtsverhalten zu gewinnen.
Zur Standardisierung der Messmethode wurde eine grosse Anzahl von Vorversuchen durchgeführt. Durch Normierung der Körperstellung der Versuchspersonen konnte eine hohe Versuchswiederholbarkeit und dementsprechend hohe Reliabilitätskoeffizienten erreicht werden. Als äussere Faktoren, welche die Messresultate beeinflussen, ergaben sich unter anderem Ermüdung, Stress, Krankheit, Einnahme von Kaffee, Alkohol und anderen stimulierenden oder dämpfenden Mitteln, Prüfungssituation und Vorstartzustände. Zur Bestimmung von Normalbzw. Ruhewerten müssen solche Extremsituationen eliminiert werden.
Die Kräfte wurden in den drei Komponenten, vertikal, vor-rückwärts und seitwärts gemessen. Im Verlaufe der Messungen zeigte es sich, dass die verschiedenen Komponenten stark auf spezifische Belastungen reagieren.
Auf Grund der Resultate wurde folgende Hypothese aufgestellt:
Diese Hypothese konnte an vielen Beispielen verifiziert werden. Messungen in Krankheitssituationen, vor und nach Prüfungen, nach einer grossen Wanderung etc. ergaben Messwerte, die mit Hilfe der Hypothese erklärt werden konnten. D.h. die Methode des betragsmässigen Impulses ermöglicht die Feststellung und Analyse von Belastungen verschiedenster Art, wobei aus der Grösse der individuellen Messwerte auf die Höhe der Belastung und eventuell auch auf die physische und psychische Belastbarkeit Schlüsse gezogen werden können.
Der Anteil der einzelner: Komponenten ist bei den verschiedenen Testübungen verschieden. Beim monopedalen Stehen sind die Messwerte in Vor-rückwärtsrichtung rund doppelt so gross als in den beiden anderen Richtungen. Der grösste Krafteinsatz zur Stabilisierung des Gleichgewichtszustandes erfolgt also in der Vor-rückwärtsrichtung. Beim bipedalen Stehen wechselt dieses Verhältnis als Funktion des Alters. Von 7 bis 15 Jahren ist die Vor-rückwärtskomponente dominant. Im Alter über 17 Jahren ist der Arteil der vertikalen Komponente – der Komponente mit dem engen linearen Zusammenhang zum "cardiac output" – am grössten. Die beiden horizontalen Komponenten nehmen ab, das Stehen auf beiden Beinen wird ökonomischer.
Ueberlegungen über die gemessenen Kräfte beim monopedalen und beim bipedalen Stehen ergeben, dass beim monopedalen Stehen der gemessene Krafteinsatz hauptsächlich zur Stabilisierung des momentanen Gleichgewichtszustandes dient. Die Messwerte beim bipedalen Stehen sind nur zu einem Teil gleichgewichtsbedingt. Sie sind eine Summierung endogener Körper- erschütterungen, die von der Herztätigkeit und der übrigen Muskeltätigkeit abhängig sind. Aber nur ein kleiner Anteil all dieser Kräfte dient beim bipedalen Stehen zur Gleichgewichtserhaltung.
Die Tatsache, dass mit der Methode des betragsmässigen Impulses ein feines Instrumentarium zur Registrierung von Körperfunktionen zur Verfügung steht, weist auf die Möglichkeit hin, die Methode zur Diagnose von psychomotorischen Störungen einzusetzen. Die Messungen zeigten, dass psychomotorisch gestörte Kinder beim bipedalen Stehen in der vertikalen Komponente häufig signifikant höhere Werte aufweisen als normale Kinder. Auch bei den monopedalen Tests konnten Unterschiede gefunden werden. Da jedoch die Diagnose möglichst früh, d.h. im Vorschulalter, gestellt werden soll, wird dem bipedalen Test, der den Kindern keine Schwierigkeiten bereitet, wohl eine grössere Bedeutung bei der Weiterentwicklung dieses Verfahrens zukommen.
Die Ausführungen zeigen, dass mit der Methode des betragsmässigen Impulses eine Messmethode gefunden wurde, mit der ein breites Spektrum von Fragekomplexen angegangen werden kann. Es sind dies:
Weitere Untersuchungen, die nun gezielt in diesen beiden Richtunger durchgeführt werden, sollen die auf Grund dieser Arbeit gewonnen Erkenntnisse erweitern und vertiefen.